Theologie nach Hadamar


Der Theologe Ulrich Bach (1931-2009) forderte, analog zu einer „Theologie nach Auschwitz“,
eine „Theologie nach Hadamar“ – ein Umdenken, eine Umkehr aus vertrauten Denkmustern
und Sprache. Hadamar ist eine Stadt in Hessen und war der Name der am dortigen Stadtrand
gelegenen, zwischen Januar 1941 und März 1945 wütenden Tötungsanstalt „Hadamar“.
Im Rahmen der „Aktion T4“, des sogenannten „Euthanasie-Programms“ der Nationalsozialisten,
wurden in der ehemaligen Landesheilanstalt fast 15.000 Menschen mit Behinderungen und
psychischen Erkrankungen in einer Gaskammer, durch tödliche Injektionen und Medikationen
sowie durch vorsätzliches Verhungernlassen ermordet.

Dabei haben die Diakonie wie die Kirchen häufig durch Unterlassen mitgewirkt. Das Programm
einer „Theologie nach Hadamar“ erinnert Kirche und Theologie daran, dass
Vergangenheitsbewältigung durch Aufarbeitung, öffentliche Schuldanerkenntnis ihrerseits und
eine ableismuskritische Analyse des theologischen Denkens zum großen Teil noch aussteht.


Bachs „Theologie nach Hadamar“ ist eine „ebenerdige Theologie“: „Damit meint Bach“, so
beschreibt es die Theologin Anne Krauß, „ein Sehen und Verstehen der Welt und des
menschlichen Schicksals nicht von einer ideologiegeprägten „Tribüne“ der scheinbar Gesunden
herab, sondern aus der tief gelegenen „Arena“ des gelebten, geliebten, umkämpften und
erlittenen Lebens. Für ihn stehen sowohl die Gesunden als auch die Kranken auf dem gleichen
Erdboden, der gleichen Ebene. Denn das Ja Gottes zum Menschen gilt uneingeschränkt, so dass
„kein noch so schwer behinderter Mensch weniger wert noch weniger wichtig“ ist.“

Eine Umsetzung und Etablierung einer „Theologie nach Hadamar“ in der Theologie in
Deutschland steht auch fast 15 Jahre nach Bachs Tod noch aus. Eine Theologie nach Hadamar
des 21. Jahrhunderts ist disabilitysensible und ableimuskritische Theologie. Hierfür lernt sie von
und sucht den Diskurs mit den Disability Studies und könnte auch einen Beitrag zur
Weiterentwicklung dieses noch so jungen Forschungsfeldes beitragen.



Literatur

Bach, Ulrich, Theologie nach Hadamar als Aufgabe der heutigen Theologie, in: Anbelle
Pithan/Gottfried Adam/Roland Kollmann (Hg.), Handbuch Integrativer
Religionspädagogik. Reflexionen und Impulse für Gesellschaft, Schule und Gemeinde,
Gütersloh 2002, 112-118.
Ders., Ohne die Schwächsten ist die Kirche nicht ganz. Bausteine einer Theologie nach Hadamar,
Neukirchen-Vluyn 2006.
Bohne, Eva, Was für ein Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen Einblicke in
unsere jüngere Zeitgeschichte, Hamburg 2017.
Krauß, Anne, Barrierefreie Theologie. Das Werk von Ulrich Bach vorgestellt und weitergedacht,
Behinderung – Theologie – Kirche 8, Stuttgart 2014.
Dies., „Und Gott sah, dass der Mensch behindert war – und siehe, es war sehr gut.“ Ulrich Bach
und seine Theologie nach Hadamar als theologische Wegbereitung der Inklusi- on,
Vortrag am ZeDis ihm Rahmen der Ringvorlesung: „Behinderung ohne Behinderte?!
Perspektiven der Disability Studies“ der Universität Hamburg, siehe: https://www.zedis-
hamburg.de/wp-content/download-pdfs/krau__12012014.pdf, letzter Zugriff am
22.8.2023.

von Dr. Marie Hecke

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